SandRock 55

 

Artikel Offenbach Post, 24. April 2014

 

Zum Rocken ist man nie zu alt

 

Offenbach - Das Wummern des Schlagzeugs dringt durch die Stahltür, die den Zugang zum Keller des Kinder-, Jugend- und Kulturzentrums (KJK) in der Offenbacher Sandgasse versperrt. Dahinter dröhnt gerade „Venus“ von Shocking Blue aus dem Verstärker. Es ist Montag. Von Lena Marie Jörger

 

Probentag. Aber nicht etwa Jugendliche stehen hinter den Mikrofonen und hauen in die Keyboard-Tasten. Die Mitglieder von „Sandrock 55“ sind alle über 50 Jahre alt – eine Seniorenband offiziell, auch wenn der eine oder andere bei diesem Wort das Gesicht verzieht. Vor drei Jahren rief das Jugendkulturbüro das Projekt ins Leben. „Damit wollten wir Leute ansprechen, die durch Beruf und Familie lange nicht viel Zeit für die Musik hatten und ihr Hobby jetzt im Ruhestand wieder ausleben wollen“, erklärt Mitorganisatorin Claudia Weigmann-Koch. Etwa 50 Menschen bewarben sich auf die Ausschreibung, übrig blieben zwei Bands: „Weibergesang“, die derzeit aus vier Musikerinnen besteht, und „Sandrock 55“ mit fünf Mitgliedern.

 

Und diesen Fünf ist die wöchentliche Probe heilig. „Der Montag ist der schönste Tag in der Woche“, schwärmt Annegret Ecker (59), Sängerin und Bassistin der Band. Schlagzeuger Wolfgang Sacher (63) sieht das genauso: „Ich habe mir den Tag extra freigeschaufelt.“ In Sachen Musikrichtung ist die Gruppe breit aufgestellt. „Irgendwas mit Rock“, präzisiert Gitarrist Uwe Brand (56) dann aber doch noch. Von den Beatles über Spencer Davis, Reinhard Mey und Nena sei alles dabei. „Wir haben auch Ärzte-Songs im Repertoire“, fügt Frank Thiemann (67), Gitarrist und Sänger, hinzu.

Wie alle anderen hat auch er erst vor Kurzem wieder mit der Musik angefangen. „Mit 16 war ich in einer Schülerband, danach habe ich ein bisschen zuhause für mich gespielt.“ Dem jüngsten Bandmitglied Sabine Lämmle (52) ging es ähnlich. „Vor zehn Jahren habe ich mal mit dem Saxofon gespielt, jetzt habe ich wieder damit angefangen.“ Verlernt hat sie es über die Jahre aber nicht. „Nur die Puste geht mir jetzt ein bisschen früher aus.“ Unterstützung erhalten die Bandmitglieder von Manfred Häder, Projektbetreuer und Bluesgitarrist. „Um in einer der Bands mitspielen zu können, braucht man zwar keine Notenkenntnisse“, sagt er, „aber man sollte auf jeden Fall schon einmal ein Instrument in den Händen gehalten haben.“

 

Uwe Brand kramt derweil nach einem rechteckigen Schild, um es kurz darauf schmunzelnd zu präsentieren. Darauf zu sehen ist Comic-Figur Homer Simpson, den Mund zu einem Grölen weit aufgerissen und beide Arme in die Luft gestreckt. Darunter steht in großen Buchstaben: „Never too old to rock“ – übersetzt: nie zu alt zum Rocken. „Das ist unser Credo“, sagt Brand und grinst. Wie zum Beweis stimmen die Fünf „Mighty Quinn“ der Manfred Mann’s Earth Band an. Während Thiemann singt, wippt Brand lässig mit dem Fuß und beißt sich auf die Unterlippe. Mentor Manfred Häder klopft den Takt auf seinem Oberschenkel mit. Er ist sichtlich stolz. Auftritte hat die Band im Übrigen auch. „Letztes Jahr 13 Stück“, verkündet Sacher. Von Aufregung ist bei den Musikern aber keine Spur. „Sobald die ersten Töne erklingen, ist das weg“, sagt Lämmle.

 

 

 

Artikel Offenbach Post, 19. August 2015

 

Seniorenband Sandrock 55 feiert Geburtstag mit Konzert

 

Nie zu alt für Rock’n’Roll

 

50 Personen meldeten sich vor vier Jahren auf den Aufruf von Michael Koch – fünf Musiker haben es dann in die Seniorenband Sandrock 55 geschafft. „Trainer“ ist der erfahrene Spitzen-Bluesgitarrist Manfred Häder (rechts).   © Georg
50 Personen meldeten sich vor vier Jahren auf den Aufruf von Michael Koch – fünf Musiker haben es dann in die Seniorenband Sandrock 55 geschafft. „Trainer“ ist der erfahrene Spitzen-Bluesgitarrist Manfred Häder (rechts).   © Georg

 

Offenbach - Der Mann vom Jugendamt suchte Senioren: Dr. Michael Koch hatte die Zielgruppe der Hobbymusiker über 55 Jahre im Auge, die sich „not too old to rock and roll“ fühlen. Die Resonanz auf dieses Projekt war gewaltig. Von Stefan Mangold 

 

Als ein Ergebnis der Suche tritt die Band Sandrock 55 mittlerweile regelmäßig auf. Jeden Montag trifft sich Sandrock 55 – der Name ist nicht zufällig – in der Sandgasse 26, wo ein städtisches Kinder-, Jugend- und Kulturzentrum geeignete Räume bietet. Frank Thiemann ist Gitarrist von Sandrock 55 und 68 Jahre jung. Also im besten Rocker-Alter, denkt man an Rolling Stones, Bob Dylan oder Udo Lindenberg. Der E-Klampfer probt gerade mit seinen Kolleginnen und Kollegen „Mighty Quinn“. Als der Dylan-Titel 1967 in der Version von Manfred Mann zum Hit wurde, waren Tastenfrau und Saxophonistin Sabine Lämmle (54), Schlagzeuger Wolfgang Sacher (64), Bassistin Annegret Ecker (60) und Gitarrist Uwe Brand (58) noch Kinder und Jugendliche.

 

Heute haben sie einen versierten musikalischen Berater. Manfred Häder, selbst bereits 61 und brillanter Saitenkünstler, war einst Gitarrist der renommierten Frankfurt City Blues Band. Er spielte zusammen mit Heroen wie dem als „Vater des weißen Blues“ apostrophierten Alexis Korner (gestorben 1984) und der amerikanischen Bluesharp-Legende Charlie Musselwhite. Häder hat selbst schon mit seiner Gruppe in der Sandgasse aufgedreht, hat dort auch mit Michael „Dr. Longhair“ Koch, dem früheren Leiter der Einrichtung, gejammt. Das Zentrum war vom Bund bis 2011 fünf Jahre lang als „Mehrgenerationenhaus“ gefördert worden. Um die Sandgasse nach dem Auslaufen des Projekts für den nächsten Fördertopf zu qualifizieren, musste sich Koch etwas einfallen lassen.

 

Die Idee vom Seniorenrock-Angebot entstand. Inspirieren ließ sich das Jugendkulturbüro-Ehepaar Michael und Claudia Koch von einer BBC-Dokumentation über den US-Chor Young@Heart, in dem 30 Menschen im Alter zwischen 70 und 100 Jahren singen. Auch der deutsche Film „Die Spätzünder“ mit Joachim Fuchsberger und Jan Josef Liefers hatte Wirkung. In unserer Zeitung haben die heutigen Mitglieder von Sandrock 55 den Aufruf zur Gründung einer Band gelesen, in der jedes Mitglied über 55 Jahre alt sein sollte. Die Resonanz überwältigte, bereitete aber auch Probleme. Es meldeten sich 50 Interessenten. Manfred Häder rief also gleich zwei Formationen aus.

Wie der Profi heute erzählt, gestalteten sich die ersten Monate nicht einfach. Der eine oder andere Bewerber hatte vielleicht den Jugendtraum mitgebracht, einmal ähnlich cool wie Keith Richards aufzutreten. Mehr aber nicht: Dass der Stones-Gitarrist tüchtig üben musste, bis er reif für die Bühne war, war nicht jedem bewusst. „Viele wollten mitspielen, ohne je ein Instrument gehalten zu haben“, erinnert sich Häder an Gespräche, in denen er sanft überzeugte, dass es vielleicht angebracht sei, erstmal ein bisschen Unterricht zu nehmen. Ganz so einfach spielen sich die Riffs von „Honky Tonk Woman“ oder „Satisfaction“ schließlich auch nicht.

 

„Virtuos muss niemand sein“, betont Manfred Häder jedoch, „was letztlich zählt, ist die Freude am Zusammenspiel“. Die vermittelt sich heute auch vielen Offenbachern beim Zuhören. Sandrock 55 – deren Mitglieder alle über musikalische Erfahrung verfügten – tritt mittlerweile oft auf, etwa beim Mainuferfest. Zum vierten Geburtstag spielt die Band am 21. November an der Sandgasse Klassiker der Rock-Geschichte. PS: Die zweite Sandgassen-Band namens Proberaum sucht noch jemand, der Saxophon oder Gitarre bedienen kann.